Little Germany in New York
Haben Sie schon einmal von Little Germany, also “Kleindeutschland” in New York gehört? Sicherlich kennen Sie das berühmte Chinatown in Manhattan oder Little Italy – der deutsche Gegenpart in New York ist aber oftmals selbst für Deutsche kein Begriff. Dabei gab es eigentlich sogar zwei Kleindeutschlands in New York. Die Geschichte der deutschen Einwanderer in New York ist spannend (und tragisch zugleich), so dass es sich lohnt, mehr darüber zu erfahren. Heutzutage können Sie noch einige Spuren der deutschen Bewohner im Big Apple sehen. Aber beginnen wir bei den Anfängen.
Der Ursprung von Little Germany
Alles begann auf der Lower East Side in Manhattan. Dort siedelten sich im 19. Jahrhundert mehr und mehr Einwanderer aus dem damaligen deutschen Bund an. 1840 wurde die Zahl der Deutschen in New York auf 24.000 geschätzt. Der Vormärz und die Revolution von 1848/49, aber auch ein Mangel an Arbeitsplätzen und Land, sowie Hungersnot und religiöse Unterdrückung verstärkten die Einwanderungswelle aus den deutschen Staaten noch einmal. Die Wirtschaft blühte auf der anderen Seite des Atlantiks und die Überfahrtskosten waren zudem gesunken, sodass mehr Menschen nach New York kamen. In dieser Zeit entstand nördlich des heutigen Bowery Viertel und der Division Street das erste Kleindeutschland.
”Deutschländle”
Als Einwanderer versprach man sich von der Nähe zu den eigenen Landsmännern wirtschaftliche und soziale Vorteile. 1855 hatte New York, neben Berlin und Wien, die größte deutschsprachige Bevölkerung und 1880 machten die Deutschen und ihre Nachkommen in New York City bereits ein Viertel der Bevölkerung aus. Die Zahl der Deutschen war auf 170.000 gestiegen und um den Tompkins Square Park blühte die deutsche Kultur.
Kleindeutschland war nun das erste Viertel in der Geschichte der USA, das eine komplett andere Sprache als Englisch sprach. Bierhallen, Schützenvereine, Clubhäuser, Schulen, selbst eine eigene Bibliothek und ein Krankenhaus konzentrierten sich ganz auf die deutschen Einwanderer. Man munkelt, dass zu diesem Zeitpunkt mehr als die Hälfte aller Bäcker in New York deutscher Abstammung waren. Die Einwanderer nannten ihr Viertel angelehnt an die große Anzahl an Schwaben übrigens “Deutschländle”.
Die große Katastrophe
Doch bald sollte das Ende des fröhlichen Treibens im Deutschländle kommen. Am 15. Juni 1904 fand der jährliche Ausflug der lutherischen Kirche St. Markus von Kleindeutschland statt. Dazu wurde stets eine Bootstour über den East River nach Long Island gemacht. Schätzungsweise 1.300 Menschen waren an Bord der gecharterten General Slocum, darunter hauptsächlich Kinder und Frauen. Der Schaufelraddampfer war in äußerst schlechtem Zustand und als Feuer ausbrach, nahm das Unglück seinen Lauf.
Rettungsboote konnten nicht vom Schiff losgemacht werden und die Rettungswesten, damals aus Kork hergestellt, zerbröselten in den Händen der Menschen. Dazu kam, dass die meisten Passagiere nicht schwimmen konnten und die Wollkleidung sie nach unten zog. Mehr als 1000 Menschen starben bei der Katastrophe. Das Unglück stellt bis heute die größte Katastrophe in der zivilen Schifffahrt in den USA dar und war bis zum 11. September 2001 das Ereignis, das die meisten Menschenleben in New York forderte.
Ein neuer Anfang auf der Upper East Side
Fast jede Familie in Kleindeutschland hatte ein Opfer zu beklagen und der soziale Mittelpunkt der deutschen Gemeinschaft auf der Lower East Side war damit ausgelöscht. Die Folgen für das Viertel waren dramatisch. Schulen und Geschäfte mussten schließen, der Großteil der Hinterbliebenen zog aus Little Germany weg, um den Erinnerungen im Viertel zu entkommen. Littel Germany begann langsam zu zerfallen. Das handwerkliche Geschick und die gute Ausbildung der deutschen Einwanderer hatten zudem dafür gesorgt, dass viele den sozialen Aufstieg geschafft hatten und bereits Richtung Upper East Side gezogen waren. Dort bildete sich ein neues Kleindeutschland rund um das Gebiet auf der Third Avenue und 86th Street, das heutige Yorkville.
Yorkville – das neue Kleindeutschland
Yorkville grenzt im Osten an den East River, südlich an die 79th Street, westlich an die Third Avenue und im Norden an die 96th Street. Nach der General Slocum Katastrophe zogen mehr und mehr Deutsche nach Yorkville, allerdings erholte sich die Gemeinde nur langsam von den traumatischen Ereignissen. Die lutherische Kirche St. Markus auf der Lower East Side wurde aufgegeben und die Gemeinde fusionierte daraufhin mit der Deutschen Evangelischen Kirche von Yorkville. Diese Kirche existiert noch heute als Zion-St. Mark’s Church auf der 339 East 84th Street.
Ein weiteres Überbleibsel aus dieser Zeit ist der Carl Schurz Park. Der vormalige East River Park wurde 1910 nach dem ehemaligen Innenminister der USA unter Präsident Rutherford B. Hayes benannt. Carl Schurz stammte aus der Preußischen Rheinprovinz und war 1852 in die USA ausgewandert. Als erster Deutscher war er Mitglied des US-amerikanischen Senats. Die feierliche Namensgebung des Parks war ein Zeichen dafür, dass die Errungenschaften der deutschen Einwanderer nach wie vor geschätzt wurden.
Das Ende von Little Germany
Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Der Kriegseintritt der USA machte Deutschland 1917 offiziell zum Kriegsgegner. Das Ansehen der deutschen Gemeinschaft sank, viele Deutsche standen vor einem moralischen Dilemma. Sollten Sie die Familie in der alten Heimat unterstützen oder sich für ihre neue Heimat engagieren? Wer Letzteres nicht tat, war automatisch als Landesverräter verdächtig. Die Repressionen gegen Menschen deutscher Herkunft nahmen während des Kriegs stetig zu.
Als Folge wurden unter anderem deutsche Zeitungen eingestellt und deutscher Schulunterricht wurde abgeschafft. Selbst in den Kirchen hüteten sich Menschen davor, die deutsche Sprache zu sprechen, um nicht als Spion bezichtigt zu werden. Wer sich nicht in den Jahren zuvor bereits assimiliert hatte, änderte nun seinen deutschen Namen in die englische Variante. Selbst „Sauerkraut“ war ein verbotenes Wort. Das Kulturgut der deutschen Einwanderer verschwand komplett und das Ende des deutschen Yorkville war angebrochen.
Was von Little Germany blieb
An die Katastrophe auf dem East River, die das Schicksal der Deutschen in New York für immer veränderte, erinnert heute nicht mehr viel. Im Tompkins Square Park befindet sich ein Gedenkbrunnen, der Slocum Memorial Fountain. Yorkville selbst ist heute ein diverses Viertel, in dem Menschen aller Kulturen leben. Die Spuren der deutschen Geschichte sind aber noch heute sichtbar, nicht nur im Carl Schurz Park. Sie können beispielsweise bei Schaller & Weber vorbeischauen, eine Metzgerei, die auf deutsche Wurstwaren spezialisiert ist und noch immer in Yorkville ihre Filiale hat. Außerdem können Sie in ganz Manhattan einige Bäckereien finden, die Brot nach original deutschem Rezept backen oder zumindest in deutscher Qualität. Das Erbe der deutschen Bäckereien in New York ist also gesichert.
Wenn Sie Fan der süddeutschen Küche sind, lohnt es sich übrigens auch den Österreichischen und Schweizer Restaurants in New York einen Besuch abzustatten. Und natürlich nicht zu vergessen: Jährlich werden die deutsche Kultur und die deutschsprachigen Einwanderer auf der German-American Steuben-Parade geehrt und gefeiert. Wenn Sie im September in New York sind, dann sollten Sie die Parade auf keinen Fall verpassen! Die Parade verläuft nicht nur durch Yorkville als Hommage an das ehemalige Little Germany, sondern ist auch der Startschuss für das Oktoberfest in New York, das gebührend zelebriert wird.
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